Museums
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Thomas Tunsch: Dokumentieren der Dokumentation im Museum. In: Kultur und Informatik: Aus der Vergangenheit in die Zukunft (Hrsg. von Jürgen Sieck ; Regina Franken-Wendelstorf). – Boizenburg 2012. – ISBN 978-3-86488-016-2. – S. 221-227.

Stichwörter: Museum, Museumsdokumentation, Wiki

Abstract[]

Während die Museumsdokumentation meist als Sammlung, Erschließung und Zugänglichmachung von Informationen zu Museumsobjekten (Leitfaden für die Dokumentation von Museumsobjekten) verstanden wird, sind es in der Museumspraxis vor allem die Ergebnisse, die im Vordergrund stehen. Der Übergang zur computergestützten Arbeit in den Museen führt zu dem Anspruch, die Verfahren des Dokumentierens ebenfalls festzuhalten. Parallel dazu werden neue Beziehungen zwischen Fachwissenschaften und Informationswissenschaft geknüpft. Eine hohen fach- und informationswissenschaftlichen Ansprüchen genügende Dokumentation bildet die Grundlage für interaktive Systeme, Multimedialösungen und Web2.0-Anwendungen. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Dokumentationsverfahren im Museum, die an sich schnell entwickelnde Umgebungsbedingungen anzupassen sind.

Museumsaufgaben, Dokumentation und Verfahren[]

Obwohl bereits 1971 die „Arbeitsgruppe Museumsdokumentation“ Regeln für die deutschen Museen vorschlug, wurden diese nicht zum Standard.[1] Christof Wolters stellte 1995 für die traditionellen Inventarisierungs- und Katalogisierungsregeln fest: „Sie sind oft gar nicht als Regelwerk formuliert, sondern verbergen sich hinter den uns allen vertrauten ‚vorgedruckten’ Dokumentationsformen wie Inventarbücher und Karteikarten.“[2] Wenn der Deutsche Museumsbund mehr als 15 Jahre später in seinem 2011 veröffentlichten „Leitfaden für die Dokumentation von Museumsobjekten“[3] eine schriftliche Dokumentationsrichtlinie fordert, so darf wohl angenommen werden, daß die Verfahren der Museumsdokumentation noch nicht in allen Museen in dieser Form erfaßt sind. Umfang und Qualität einer solchen Richtlinie sollten die Unterstützung aller Museumsaufgaben durch entsprechende Standards erlauben, also Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln.[4]

Der Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz faßte am 2. Dezember 1991 einen Beschluß zur Inventarisierung von Sammlungsgegenständen und formulierte mit den „Richtlinien des Stiftungsrates für die Inventarisierung, Kennzeichnung und Kontrolle der Sammlungsbestände in den Staatlichen Museen und im Musikinstrumentenmuseum wesentliche Grundsätze für eine Dokumentation, die nicht nur der Bestandssicherung und erhaltung dient, sondern auch die „Bestandsverzeichnisse wissenschaftlicher Hilfsmittel“ ausdrücklich einbezieht. Die Richtlinien nennen exemplarisch „Photos, Zeichnungen, Schallplatten, Videobänder“ und lassen so erkennen, daß bereits hier, wo es vor allem um die eindeutige Identifizierung von Museumsobjekten geht, der komplexen Informationsstruktur im Museum Rechnung getragen wird, zu der auch die Museumsarchive und Fachbibliotheken gehören. Das 2000-2002 vorbereitete und 2003-2005 mit einer Pilotphase eingeführte Verfahren Museumsdokumentationssystem der Staatlichen Museen zu Berlin und anderer Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz umfaßt deshalb konsequenterweise auch die Dokumentation von Multimediaobjekten und die Verknüpfung zu bibliographischen Angaben.

Das Museum für Islamische Kunst nimmt seit 2010 an diesem Verfahren teil, nachdem 10492 Datensätze aus der Erfassung für die Restaurierung und Baufreimachung des Pergamonmuseums im Zuge der Generalsanierung importiert worden waren. Diese Erfassung war ohne eine Dokumentationsrichtlinie durch Fremdkräfte durchgeführt worden, woraus sich umfassende redaktionelle Arbeiten an den Daten ergeben. Gleichzeitig sind die Erfahrungen der Museen zu berücksichtigen, die als Piloteinrichtungen bei der Einführung des Museumsdokumentationssystems beteiligt waren. Der Aufbau der digitalen Dokumentation wird so nicht nur zu einer organisatorischen sondern auch zu einer fach- und informationswissenschaftlichen Herausforderung, die zusätzlich unter dem Aspekt einer effizienten Kommunikation zu betrachten ist. Die internationale Kooperation in Forschungsprojekten ist dabei ebenso ein wichtiger Faktor wie die Digitalisierung von Sammlungsobjekten.

Sammlungsobjekte sind die wichtigste Grundlage der Forschung am Museum.[5] Die Verknüpfung der Forschungsergebnisse mit den anderen Daten der Dokumentation und ihre ständige Aktualisierung ist eine anspruchsvolle Herausforderung, die sich nicht mehr in der traditionellen Verzeichnung von Literaturangaben erschöpfen kann. Vielmehr wird der dynamische Zugriff auf Multimediadaten, externe Datenbanken, elektronische Veröffentlichungen oder die Nutzung von Normdaten (z.B. GND)[6] immer wichtiger, um den aktuellen Forschungsstand zu Museumsobjekten zu dokumentieren. Bereits 1996 hob Friedrich Waidacher die Bedeutung extrinsischer Daten hervor, die als Grundlage für die wissenschaftliche Arbeit an Museen dienen.[7] Da extrinsische Daten jedoch immer auch eine Interpretation darstellen,[8] ergeben sich für die Verfahrensdokumentation wichtige strukturelle Anforderungen.

Die Verfahrensdokumentation muß die flexible, erweiterbare und strukturierte Verknüpfung mit den vorhandenen Informationen zu jedem Museumsobjekt unterstützen und sowohl die Nachvollziehbarkeit ihrer historischen Entwicklung als auch die Anpassung an neue Erkenntnisse ermöglichen. Unverzichtbar ist dabei die Darstellung der Methoden und Verfahren, mit denen die Daten erhoben werden – eben das Dokumentieren der Dokumentation. Eine Wissenschaftlichkeit der Museumsdokumentation ist ohne diese Bedingung kaum vorstellbar. Spätestens bei der wissenschaftlichen Kommunikation über Museumsobjekte und deren Veröffentlichung wird zum Beispiel die exakte Darstellung widersprüchlicher Interpretationen von der Qualität und Belastbarkeit der verwendeten Daten abhängen. Somit werden neben den Metadaten zu den Objekten selbst auch regelmäßig Metadaten zum Dokumentationsverfahren strukturiert zu erfassen sein. Die verwendeten Programme und Anwendungen müssen also entweder diese Anforderungen selbst erfüllen oder über die erforderlichen Schnittstellen zur Verknüpfung mit externen Anwendungen und Verfahren verfügen.

Im Museum für Islamische Kunst standen bei Einführung des Museumsdokumentationssystems grundlegende Schreibanweisungen im Intranet der Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) zur Verfügung, die allerdings durch fachlich bedingte spezialisierte Normen und Standards zu ergänzen sind. Die Zusammenarbeit mit anderen Sammlungen der SMB, die Überlappungen mit verschiedenen wissenschaftlichen Fächern und sammlungsgeschichtliche Zusammenhänge sind gewichtige Gründe dafür, diese speziellen Schreibanweisungen ebenfalls im Intranet verfügbar zu machen. Da dieses Intranet als SMBwiki[9] ohne zusätzlichen Aufwand eine Erfassung jeder Änderung gestattet, kann gleichzeitig eine hohe Dokumentationsqualität gesichert werden. Die URL als eindeutige Adresse und die Verwendung von Links zur Herstellung thematischer Bezüge dient der Vermeidung von Redundanzen und vereinfacht die strukturelle Anpassung an sich verändernde Rahmenbedingungen erheblich. Die fortschreitende Ausarbeitung detaillierter Dokumentationsrichtlinien kann so an die Schwerpunkte der Datenredaktion flexibel angepaßt werden und steht für die tägliche Arbeit trotzdem immer in der aktuellen Version zur Verfügung. Damit wird auch die genaue Dokumentation von Objekten durch eine hohe Qualität der Verfahrensdokumentation bei geringstmöglichem Aufwand unterstützt.

Fach- und informationswissenschaftliche Ansprüche[]

Die zunehmende Vernetzung verschiedenster Fachdisziplinen durch informationswissenschaftliche Erkenntnisse läßt sich mit einer ständig wachsenden Zahl von Beispielen belegen. Wenn auch die Verwendung von geologischen und geophysikalischen Rohdaten[10] für Geistes- und Sozialwissenschaftler nicht von unmittelbarem Interesse sein wird, so können doch in diesen Wissenschaftsdiziplinen mittelbar Erkenntnisse daraus gewonnen werden. So ist zum Beispiel in der Archäologie die Bedeutung der Basisdaten von Ausgrabungen und ihre Aufbereitung ein vergleichbarer Rahmen, der die Übertragung der informationswissenschaftlichen Methoden erlaubt. In der Museumsdokumentation ist der Anspruch der wissenschaftlichen Qualität an Informationsstrukturen und -beziehungen längst nicht mehr bloße Theorie, sondern hat mit dem Einzug der elektronischen Dokumentation in Depots, Restaurierungswerkstätten und Forschungsprojekte unmittelbar praktische Relevanz. Nur die enge Verzahnung von Fachwissenschaften mit informationswissenschaftlicher Theorie und Praxis kann dabei die Voraussetzungen zur Beantwortung der anstehenden Fragen schaffen.

Eine nur nach fachwissenschaftlichen Maßstäben erstellte Museumsdatenbank wird ohne die Berücksichtigung informationswissenschaftlicher Erkenntnisse Mängel aufweisen, die in der Nutzung zu Mißverständnissen und Problemen führen muß, denn wegen der fehlenden Abstraktionsebene können Methoden wie Modellierung und Normalisierung nicht fachgerecht angewandt werden. Eine solche Datenbank wird zum Beispiel ohne Normalisierung über wesentlich mehr Felder als nötig verfügen, was wiederum regelmäßig zu weiteren strukturellen Problemen im Datenmanagement führt. Andererseits ist die Ursache für mangelnde Qualität erfaßter Daten, ihrer Verarbeitung und Ausgabe häufig die fehlende fachwissenschaftliche Kompetenz. Terminologie, Methodik, sowie die oft komplexen Beziehungen zwischen fachlichen Begriffen müssen in der Struktur der Datenbank und im Datenmanagement berücksichtigt werden, damit die Ergebnisse den Qualitätsmaßstäben wissenschaftlicher Arbeit gerecht werden können.

Schlußfolgerungen[]

Nur die hohen fach- und informationswissenschaftlichen Ansprüchen genügende Museumsdokumentation kann eine brauchbare Grundlage für interaktive Systeme, Multimedialösungen und Web2.0-Anwendungen in Museen der Informationsgesellschaft bilden. Die Dokumentationsverfahren im Museum müssen nicht nur zu Ergebnissen führen, die unterschiedliche Ausgabeformate wie beispielsweise Kataloge, Beschriftungen, didaktisches Material oder Webangebote ermöglichen, sondern auch die Anpassung an sich schnell entwickelnde Umgebungsbedingungen unterstützen.

Für das Museum für Islamische Kunst bedeutet das im Hinblick auf die bis 2019 neu zu gestaltende Dauerausstellung, daß sich die fachwissenschaftlichen Erfahrungen in mehrdimensionaler Interpretation[11] unserer Museumsobjekte in der Museumsdokumentation darstellen lassen und für die unterschiedlichsten Informationsangebote in der Ausstellung selbst und darüber hinaus effizient aufbereitet werden können.

Literaturverzeichnis[]

[Bien1996]
Bienert, Andreas: Museen, Medien und EDV: Perspektiven der kulturwissenschaftlichen Dokumentation an den Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. In: Museums-Journal, 10. Jg. (Nr. 1) 1996, S. 6–9
[ErSa2008]
Ermert, Axel; Saro, Carlos: Museumsvokabular: Die Situation in Deutschland und die Initiative www.museumsvokabular.de (Vortrag, 11. Deutscher Terminologie-Tag-Symposion: Terminologie & Fachkommunikation). Mannheim 2008. URL: http://www.iim.fh-koeln.de/dtt/DTT2008PDFs/Ermert.pdf
[Geme2012]
Seite „Gemeinsame Normdatei“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 3. März 2012, 22:18 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Gemeinsame_Normdatei&oldid=100441365 (Abgerufen: 29. März 2012, 06:38 UTC)
[Klum2007]
Klump, Jens: The Benefits of Cross Linking: The International Continental Scientific Drilling Program. In: International Conference Knowledge by Networking (Berlin, June 21-22, 2007). Berlin 2007. URL: http://www.knowbynet.de/download/contibutions/klump_kbn.ppt
[Leit2011]
Leitfaden für die Dokumentation von Museumsobjekten: von der Eingangsdokumentation bis zur wissenschaftlichen Erschließung / Hrsg.: Deutscher Museumsbund. Berlin, 2011.
[Lude2009]
Ludewig, Karin: Der wissenschaftliche Anspruch bei der Museumsdokumentation – unter besonderer Berücksichtigung aktueller Probleme des Urheberrechts. URL: http://www.iuwis.de/content/der-wissenschaftliche-anspruch-bei-der-museumsdokumentation-unter-besonderer-ber%C3%BCcksichtigu-1
[Rohd2011]
Rohde-Enslin, Stefan: ISIL für Museen. Berliner Herbsttreffen zur Museumsdokumentation 2011. In: Museums, The MuseumsWiki. URL: http://museums.wikia.com/index.php?title=Berliner_Herbsttreffen_zur_Museumsdokumentation_2011&oldid=5703 (Retrieved: 23. March 2012, 11:45 UTC)
[SMBw2011]
Page „SMBwiki“. In: Museums, The MuseumsWiki – For museums and cultural heritage. Date of last revision: 2011-10-14, URL: http://museums.wikia.com/wiki/SMBwiki?oldid=5316
[Stan2006]
Standards für Museen / Deutscher Museumsbund e.V. gemeinsam mit ICOM-Deutschland (Hrsg.), Kassel, Berlin 2006. URL: http://www.museumsbund.de/fileadmin/geschaefts/dokumente/Leitfaeden_und_anderes/Standards_fuer_Museen_2006.pdf
[Tuns2011]
Tunsch, Thomas: Wie modern ist eine „Türckische Cammer“? In: Dresdener Kunstblätter. Deutscher Kunstverlag, München 2011, Bd. 55.2011, 4, S. 174-279, URL: http://thtbln.blogspot.de/2012/01/wie-modern-ist-eine-turckische-cammer.html
[Waid1996]
Waidacher, Friedrich: Vom redlichen Umgang mit Dingen (Vortrag, Workshop zum Sammlungsmanagement, Institut für Museumskunde). Berlin 1996, URL: http://www.dhm.de/~roehrig/demuseum/texte/dinge.htm
[Wolt1995]
Wolters, Christof: Computereinsatz im Museum: Normen und Standards und ihr Preis. Institut für Museumskunde, Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1995. URL: http://www.smb.museum/ifm/dokumente/mitteilungen/MIT001.pdf

Siehe auch[]

  • Thomas Tunsch: Dokumentieren der Dokumentation im Museum

Weblinks[]

Einzelnachweise[]

  1. vgl. [Bien1996] S. 6, Fußnote 1 S. 9
  2. [Wolt1995] S. 20
  3. [Leit2011]
  4. [Stan2006]
  5. vgl. [Tuns2011]
  6. [Geme2012]
  7. [Waid1996], vgl. auch [Lude2009] und [ErSa2008] S. 11
  8. [Lude2009] S. 2-4
  9. [SMBw2011]
  10. vgl. [Klum2007]
  11. z.B. spätantike und byzantinische Kunst; islamische Kunst- und Kulturgeschichte, Archäologie, Beziehungen zu Religionsgeschichte und Ethnologie
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